INTERVIEW Ich stelle mir das psychologisch nicht einfach vor, Patien- tinnen und Patienten in ihrer Situation abzuholen und kein Schuldbewusstsein auszulösen. Prof. Deinzer: Ja, aber das ist eben die Kunst, dass die Zahn- ärztin oder der Zahnarzt das auf sich bezieht und sagt: Unser Fehler in der Zahnmedizin – und jetzt schauen wir gemeinsam, wie wir das Problem lösen! Was können Zahnärzte und Zahnärztinnen noch tun, um das Erlernen des Zähneputzens besser zu unterstützen? Prof. Deinzer: Ich würde mir wünschen, dass in der Aufklä- rung sehr stark betont wird, worum es eigentlich geht, nämlich den Zahn plaquefrei zu bekommen. Das heißt, es geht nicht darum, 2 Minuten zu putzen, es geht nicht darum, eine be- stimmte Systematik einzuhalten. Das kann im Prinzip jeder ma- chen, wie er will. Am Ende sollen die Zähne von allen 5 Seiten, die man mit unterschiedlichen Hygieneinstrumenten erreichen kann, gereinigt sein und zwar komplett plaquefrei – das ist die Idee des Zähneputzens. Man kann z.B. die Patientinnen nach einer Erklärung, wie man Zähne systematisch putzen kann, in der Zahnarztpraxis bitten, so gut zu putzen, wie sie können, und dann durch Anfärben prüfen, wo es nicht funktioniert hat. Die Stellen können die Patienten unter Anleitung dann nochmal angehen und sehen, wie sie die Beläge wegbekommen. So können sie es einfach selbst ausprobieren. Wichtig ist das Feed- back, ob es wirklich sauber geworden ist und wo noch Probleme sind. Gibt es auch Dinge, die man in der Mundhygienemotiva- tion unbedingt vermeiden sollte? Sie haben schon gesagt, Schuldzuweisungen sind eine schlechte Idee. Prof. Deinzer: Ja, dass z.B. Patientinnen und Patienten mit schlechter Mundhygiene oder offensichtlichen Schwierigkeiten beim Zähneputzen einfach eine elektrische Zahnbürste emp- fohlen wird, ohne hierzu mehr zu erklären, ist wenig zielführend. Das macht es dem zahnärztlichen Team zwar einfach, löst aber das Problem nicht. Wenn die elektrische Zahnbürste die Gingiva- ränder gar nicht erst erreicht, werden sie eben auch nicht sauber. Ich kann die Verantwortung für die Sauberkeit der Zähne nicht der elektrischen Bürste überlassen [8]. Mir scheint aber, das wird manchmal genauso gemacht und gesehen. Es ist ein Irrtum, dass die elektrische Zahnbürste von alleine putzt, ganz als würde sie sich selbstständig durch den Mund bewegen. Das tut sie nicht. Und die Apps, die versprechen, genau zu sagen, wo man schon war und wo nicht und wo es jetzt „sauber“ ist, halten dieses Versprechen nicht. Zumindest war das bei den Produkten, die wir in unserem Institut getestet haben, nicht der Fall. Es führt also kein Weg daran vorbei, das Putzen gut zu lernen ... Prof. Deinzer: Ja, und man muss auch davon ausgehen, dass eine einmalige Schulung nicht unbedingt ausreicht. Vielleicht muss der Patient, die Patientin erst einmal häufiger kommen, um das Putzen wiederholt zu üben und darin sicherer zu werden. Wenn man dann richtig gut putzen kann, kann man es sogar schaffen, die Zähne so sauber zu halten, dass eine PZR gar nicht nötig ist. Das muss man sich bewusst machen. Wenn man das Zähneputzen gut beherrscht, muss man auch nicht unbedingt zweimal am Tag ganz sauber putzen. Zweimaliges Putzen ist zwar gut für die Fluoridversorgung. Für die Vermeidung von Zahn- fleischentzündungen und der daraus entstehenden Parodontitis reicht es aber in der Regel aus, den Aufwand, die Zähne komplett sauber zu putzen, nur einmal am Tag zu betreiben. Es gibt meines Wissens auch keine Evidenz, dass dann das komplette Säubern abends erfolgen muss. Wenn man abends zu müde ist, warum nicht morgens oder mittags? Abschließend ein Ausblick: Welche Forschungsfragen wer- den Sie in nächster Zeit mit Ihrer Arbeitsgruppe in Angriff nehmen? Prof. Deinzer: Wir entwickeln zurzeit eine Bürste, die es uns ermöglicht, das Zahnputzverhalten automatisch zu analysieren, ohne auf Videoaufnahmen zurückgreifen zu müssen. Denn das Zahnputzverhalten per Video zu analysieren, ist sehr mühsam. In den nächsten Studien werden wir außerdem untersuchen, wie wir Erwachsenen, speziell auch Parodontitispatienten, das Zähne- putzen besser beibringen können. Im Zuge der Sechsten Mundgesundheitsstudie vergleichen wir Menschen, die sehr gut geputzt haben, mit Menschen, die sehr schlecht geputzt haben, hinsichtlich ihres Verhaltens. Um zu ver- stehen, worin die entscheidenden Unterschiede bestehen, haben wir die Probanden auf Video aufgezeichnet. Und jetzt werten wir aus, ob die Unterschiede nur durch die Vernachlässigung be- stimmter Flächen entstehen oder ob z.B. unterschiedliche Be- wegungen festzustellen sind. Hintergrund ist, dass wissenschaft- lich noch nicht gesichert ist, welche Zahnputztechnik eigentlich die beste wäre. Besser zu verstehen, mit welchen Techniken man am besten putzen könnte und mit welchen Instruktionen wir Patientinnen und Patienten am besten unterstützen, das ist unser großes Ziel. Vielen Dank für das Interview! Eltern sollten eine Vorbildfunktion beim Zähneputzen einnehmen. Allerdings müssen sie erst dazu befähigt werden. © Konstantin Yuganov/AdobeStock Das Interview führte Dagmar Kromer-Busch. 200 ZMK | Jg. 40 | Ausgabe 4 | April 2024 | 198 – 201